Stadtluft befreit
Über das Leben zur Hansezeit in Uus-Pärnu (die heutige Pärnuer Altstadt) sind nicht allzuviele Materialien erhalten. Einer von mehreren verheerenden Bränden im 16. Jahrhundert hat das Ratsarchiv (Privilegien, Bücher, andere wichtige Dokumente) vollkommen zerstört. Die letzten ältesten Gebäude wurden im II Weltkrieg zerstört. Das einzige, bis heute erhaltene mittelalterliche Gebäude, ist der rote Turm (punane torn). Im Stadtgebiet kann ein bewusster Spaziergänger trotzdem an einigen Stellen markierte Stadtmauerelemente auf dem Boden finden. Das Straßennetz in der Pärnuer Altstadt und viele Straßennamen kommen ebenso aus der Hansezeit.
Der vorgesehene Weg für den Spaziergang verläuft innerhalb der Stadt- und Festungsmauer (siehe Karte Punkte 1-15). Die Fahrradtour bringt die Fahrer auch in die Vorstädte von Uus-Pärnu und nach Vana-Pärnu (der heute denselben Namen tragende Stadtteil Pärnus), siehe Karte Punkte 16-20.
Das Mittelalter in Estland begann mit der Eroberung des Landes durch die Kreuzritter zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Es entstanden die Staaten der Kreuzritter: Der livländische Orden (Der livländische Zweig des Deutschen Ordens), die Diozösen Saare-Lääne und Tartu. Bis 1346 gehörte Nordestland zu Dänemark.
Das am linken Ufer des Flusses Pärnu gelegene Uus-Pärnu und das an der Mündung des Flusses Pärnu gelegene Vana-Pärnu waren im Mittelalter zwei eigenständige Städte. Uus-Pärnu blieb auf dem Territorium des livländischen Ordensstaates, Vana-Pärnu aber im Hoheitsbereich der Diozöse Saare-Lääne.
Als erstes wurde Vana-Pärnu (damals unter dem Namen Perona) gegründet, später 1251 als Hauptstadt der Diozöse Saare-Lääne wiedergegründet. Im Februar des Jahres 1263 wurde Vana-Pärnu bei einem Angriff der Litauer zerstört. Die ohne Dach gebliebenen Stadtbürger begannen am linken Ufer häuslich zu werden. Der Deutsche Orden baute dort zu ihrem Schutz eine Ordensfestung, vor welche die neuen Siedler gezogen waren.
Am Ostersonntag, den 5. April 1265, bekam Uus-Pärnu (damals ein Name, den man nach der von hier beginnenden und bis Pskov führenden Wasserstraße Embecke (Emajõgi) gab, den Bewohnern gefiel dieser Name nicht und trotzdem wurde die neue Stadt Uus-Pärnu genannt) die ersten Privilegien, aufgrund derer das Stadtgebiet zwischen dem Fluss- und Meeresufer bis zum Fluss Reiu festgelegt wurde. Ebenso wurden der Stadt Handels- und Fischereirechte auf dem Fluss und am Meer gegeben und ein drittel der aus Gerichtsverfahren des Komturs eingehenden Einnahmen wurden für die Befestigung und Entwicklung der Stadt genommen. In den Bischofsstädten wurden solche Privilegien nicht erteilt.
Zu der im Jahr 1282 gegründete Hanse gehörte nur Uus-Pärnu. Zur Hanse gehörte der damalige Landherr von Uus-Pärnu (ein von der Zentralmacht fast unabhängiger Gebietsregent, normalerweise waren auf dem Gebiet die livländischen Ordensmeister die Landherren) gänzlich.
Uus-Pärnu, als der damals einzige Meereshafen des livländischen Ordens, gehörte wahrscheinlich zur Hanse ab deren Gründung an. Das Beantragen der Stadtrechte für Uus-Pärnu fand mit großer Wahrscheinlichkeit gerade im Interesse des Ordens und dessen Unterstützung statt.
Das Mittelalter endete in unserem Lande mit der im Jahre 1558 beginnenden Kriegsperiode, in welcher auch die Hanse ihren Niedergang hatte.
Die Überschrift der Tour „Stadtluft befreit“ kommt aus den Regeln der Hansezeit, aufgrund derer sich der Bauer mindestens 1 Jahr und 1 Tag vor dem Gutsherren in der Stadt als Bürger verstecken musste, bevor er das Recht hatte, frei zu werden und sein Herr somit kein Recht mehr hatte ihn zurückzufordern. Daraus ist das Sprichwort entstanden „Stadtluft befreit“.
Die Städte wollten nicht immer die Bauern herausgeben, weil für die einfacheren Arbeiten in der Stadt Menschen gebraucht wurden. Zudem vergrößerten die in die Stadt kommenden Menschen die Stadtbevölkerung.
Es ist nicht bekannt, unter welchen konkreten Bedingungen neue Stadtbürger in Uus-Pärnu aufgenommen wurden. Aufgrund des in Uus-Pärnu gültigen Rigaer Rechts konnte jeder Stadtbürger werden, der 12 Öhre Bürgergeld bezahlte. Bis zum 16. Jahrhundert stieg die Summe auf eine halbe Mark an. Über die alljährlichen Bürgerpflichten, vor allem finanzieller Art, gibt es keine Belege (ebenso über das Erheben von Bürgergeld oä. Erhebungen in dieser Periode). Man weiß, dass der Rat die Einwanderungen von Deutschen bevorzugte, da diese aber nicht alle Ämter belegen konnten und Uus-Pärnu ständig Menschenzulauf brauchte, musste die Stadt selbst dann, wenn der Orden oder die Gutsherren die Umsiedlung vom Dorf in die Stadt verhindern wollten, für die Lebensrechte kämpfen. Am Ende der Hansezeit, als die Hörigkeit und die Leibeigenheit sich herauskristallisierten- , wurde die Umsiedlung der Bauern in die Städte immer schwieriger – die Gutsherren forderten ihre bedingungslose Herausgabe. Die Städte Livlands waren damit nicht einverstanden. 1543 wurde im Rigaer Recht eine Änderung eingeführt, aufgrund derer die Regel des 1 Jahr in der Stadt Lebens auf 2 Jahre verlängert wurde. Die Gutsherren forderten sogar eine dreißigjährige Frist. Das Letztere war aber aus Sicht der Städte absurd, auch in Uus-Pärnu wurde dies nicht akzeptiert.
Es ist ein Fall von einem estnischen Maurer, Andreas Block, bekannt. Er hatte in Uus-Pärnu lange gelebt, besaß sogar eine Immobilie. Sein Herr, der Gutsherr von Pornus (Alt-Bornhusen, ein Gut bei Viljandi (Fellin)), Johann Slippenbecke, war mit seiner Umsiedlung in die Stadt nicht einverstanden und akzeptierte erst mehr als 15 Jahre später dass Block Status als freier Stadtbürger besaß – nachdem sich Block zuguterletzt selbst freikaufte.
Auf dem Spaziergang können wir uns vorstellen, auf welche Weise der in die Stadt geflohene Bauer mit dem einen oder anderen Objekt in Berührung kam, in welchem Stadtteil im Uus-Pärnu er während der Hansezeit gelebt haben könnte., wie sein Heim hätte aussehen können, was er aß und -trank oder welche Kleider er hätte tragen können.
Der Radler bekommt unter anderem eine Ahnung, wie das Leben in Uus-Pärnu und seiner Vorstadt zur Hansezeit war, welche Beziehungen zwischen Uus-Pärnu und Vana-Pärnu waren und welche Rolle der Orden bei der Organisation des mittelalterlichen Stadtlebens spielte.
Spaziergang
START: Der wahrscheinliche Standort des Rigaer Tores (Bereich zwischen Nikolai 7 und 12).
ENDE: Am mittelalterlichen Modell von Uus-Pärnu (dt. Neupärnu, Õhtu 1); kann im Winter von Schnee und Eis bedeckt sein
DAUER: Durchschnittlich 1,5 h
Fahrradtour
START: Der wahrscheinliche Standort des Rigaer Tores (Bereich zwischen Nikolai 7 und 12).
ENDE: Gedenkstein der Domkirche vor dem Tor des Friedhofs von Vana-Pärnu (AltPernau) (an der Kreuzung von Suur-Toome und Haapsalu mnt.)
DAUER: Durchschnittlich 1,5 h